Nach einem kleinen, feinen Frühstück brechen meine Gastgeber und ich zum Bahnhof Fiesch auf; sie fahren mit dem 8:10-Zug Richtung Brig, während ich auf den R 528 nach Göschenen warte, der 24 Minuten später abfahren soll. Der R 215 um 8:10 ist ein willkommenes Fotomotiv, auch wenn es nieselt und eigentlich richtig kalt ist. Ich genieße die Kälte trotz meines leichten Gewandes, zu heiß und vor allem schwül waren die letzten Tage in Wien. Das Warten motiviert mich zu ein paar Schnappschüssen am Bahnhof, bevor ich mir eine Telefonwertkarte beim sehr netten Postbediensteten des Postamtes direkt am Bahnhof zulege… Da kommt auch schon «mein» Zug, ein bisschen verspätet; 2, 3 Minuten vielleicht. Ziemlich gut besetzt ist der Zug, ich finde dennoch ein freies 4er-Abteil neben einer größeren Reisegruppe. Gleich nach der Abfahrt ein erhebendes Gefühl; im Talschluss eine große Kehre, dann abbremsen bis fast zum Stillstand, neben dem Gleis eine große «A»-Tafel, und dann das laute Klack, wenn die Zahnräder in die Zahnstange der Steilstrecke nach Fürgangen hinauf einrasten. Was für eine feine Sache!
Übertroffen wird das ganze noch von der Haltestellenansage, zuerst in der lokalen Mundart, dann noch in Hochdeutsch, Französisch und Englisch, ergänzt vom Hinweis, dass Reisende nach Bellwald hier umsteigen mögen… Wunderbar, ganz wunderbar! Noch vor Fürgangen ist der Zahnstangenabschnitt wieder zu Ende, die eben noch so schroffe Landschaft wird sanfter, das Tal weitet sich, und die Bahnstrecke schlängelt sich langsam bergan. Der Schaffner fragt jeden der Fahrgäste nach dem Fahrtziel – und gleich wird mir klar, warum: Die FO betreibt ein konsequentes «Halt-auf-Verlangen»-Prinzip, und bei mehr als einer Haltestelle fahren wir mit voller Geschwindigkeit durch. In Hospental, eine Station vor Andermatt, dem großen Verzweigebahnhof der FO, warten wir einen Gegenzug ab, um kurz danach in Andermatt einzutreffen. Andermatt, eine offenbar vom Militär geprägte Stadt – schon bisher war die Fahrt durchs Goms von militärischen Objekten begleitet…
Nach kurzem Aufenthalt geht es weiter, in einen offensichtlichen Talschluss – und dann das Ende der Welt, eine reißende Schlucht, steile, unwirtliche Felsen, das Tosen eines Gebirgsbaches, eine enge Gallerie: Die Schöllenenbahn hat mich mit ihrer ganzen Wucht in Besitz genommen! Unglaublich steil geht es nun bergab, die Zahnräder knarren in der Zahnstange, und fast die ganze Strecke bis Göschenen fahren wir in einer Gallerie, die den sogar ein wenig beklemmenden, auf alle Fälle aber überwältigenden Eindruck der Schöllenenbahn noch verstärkt. Ein wenig erschrecke ich, auf der einspurigen Strecke einen Zug von Göschenen herauf entgegenkommen zu sehen – mühsam kommt unser Zug zu einem Halt: Eine Ausweiche mitten auf dieser Steilstrecke, das ist schon faszinierend! Ein paar Minuten verspätet, wieder 2 oder 3, kommen wir in Göschenen an – und schon jetzt hat mir der Tag so viel geboten!
Die vielen Eindrücke zollen ihren Tribut, die Fahrt von Göschenen nach Arth-Goldau über die berühmte Gotthardbahn hinunter döse ich, nachdem ich in Göschenen noch ein bisschen fotographiert habe. Der IC 650 kommt aus Chiasso, ist voll von italienisch sprechenden Fahrgästen… Schön ist diese Mischung so verschiedener Sprachen in der Schweiz. In Arth-Goldau, einem bedeutenden Umsteigebahnhof, fallen mir allerlei Züge anderer Verwaltungen auf; die Rigibahn links, eine BT-Komposition rechts… Hübsch, sehr hübsch. Nach Arth-Goldau fahren wir wenigstens ein Stückchen am rechten Gleis, ungewöhnlich für die Schweiz – und zahlreiche weitere Bahnstrecken fallen mir am Weg nach Luzern auf, natürlich alle elektrifiziert. Die Einfahrt nach Luzern, einem Kopfbahnhof, ist beeindruckend, allerlei Strecken münden hier in ein gigantisches Bahnhofsvorfeld, das über die Normalspurstrecken auch noch zwei Meterspurstrecken aufweist.
Der Bahnhof in Luzern gefällt mir, ich genehmige mir eine Kleinigkeit zum Trinken, mein erster Schok-Ovo-Drink überhaupt: Unübertrefflich, alle anderen fertig käuflichen Kakaos können dagegen einpacken! Gestärkt und also fröhlich verbleibe ich einmal am Bahnhof, nicht ohne einen Blick ins Souterrain gemacht zu haben, wo sich auch die VBL-Verkaufsstelle befindet, wo ich mir ein paar Broschüren über die Geschichte der Verkehrsbetriebe Luzern (VBL) mitnehme. Der Bahnhof erweist sich als geradezu ideal, um einmal auch die «große Bahn» aufzunehmen, vor allem aber die Meterspur«fern»linien, die hier Endstation haben: Die Brünigbahn der SBB (deren einzige Zahnrad- und einzige Meterspurbahn) sowie die Luzern-Stans-Engelberg-Bahn (LSE). Von beiden Bahnen kommen mir feine Kompositionen vor die Kamera, alle von rot dominiert, bevor ich meinen Augen nicht traue: Vom Brünig kommt eine Garnitur herunter, die von einer Lok gezogen ist, die aussieht, wie einem amerikanischen Kitschmusical entsprungen. Blau-kitschgold gehalten, irgendetwas grauslich-Englisches steht auf der Seite – warum um alles in der Welt englisch, gerade in der Schweiz?! – dazu noch Kitschbergerln, brrrrrr, ganz schlimm! Doch der Zug muss Luzern auch wieder gen Brünig verlassen, und weil Luzern ein Kopfbahnhof ist und die Garnitur keine pendelnde (vulgo Wendezug), muss eine andere Lok her – die kommt in klassischerem SBB-Rot daher, eine kleine Entschädigung für den gerade eben erlittenen optischen Schock.
Die Zeit vergeht wie im Flug, bei so vielen Motiven im Bahnhof, und schon gebe ich den Plan auf, mit dem Kurs der Seetalbahn um 13:03 weiterzufahren; eine Verschiebung um eine Stunde ist aber für den restlichen Verlauf des Tages kein Problem, dank der grandiosen Vertaktung der öffentlichen Verkehrsmittel in der Schweiz. Während ich den Bahnsteig Richtung Ausgang schlendere, beginnt es zu regnen, noch denke ich mir nichts dabei, hoffe auf ein kurzes Nieseln – aber es wird zunehmend unangenehmer. Auf dem Bahnhofsvorplatz befindet sich ein großer Busbahnhof; alle Trolleybuslinien Luzerns kommen hier vorbei. Wieder einmal sehe ich einen alten, sehr alten Bus im Linienverkehr – und wieder einmal wirkt er fast künstlich, so gepflegt, gut in Schuss und frisch lackiert wie er ist. Schnell ein digitales Foto im Regen, und die Kamera wieder weggepackt. Ich suche nach guten überdachten Fotostandplätzen – es ist eine entweder-oder-Angelegenheit: Entweder überdacht (am stark bevölkerten Bahnhofsvorplatz) oder Fotostandort… Nach einigem Warten wird es mir zu blöd, ein 7er nach Wesemlin fährt gerade ein, der steilsten Trolleybusstrecke Luzerns, wie mir vor der Reise dankenswerterweise mitgeteilt wurde.
Erinnerungen an meinen letzten Aufenthalt in Luzern, mehr als 10 Jahre zurück, tauchen vage in meinem Kopf auf; damals fuhr ich nur zum Verkehrshaus und zurück, bevor ich mit der Brünigbahn weiterfuhr (damals noch ohne zu wissen, was die Brünigbahn ist…). Jetzt geht es wie damals den See entlang, bevor wir am Luzernerhof abbiegen, bergwärts, und ja, es ist steil! Schnell wird die Bebauung dünner, das Flair vorstädtischer, und nach nicht allzulanger, aber spektakulärer Fahrt über steile Straßen und durch enge Kurven ist der Zwyssigplatz mit seiner Busschleife erreicht: Endstation für den Trolleybus. Es regnet inzwischen in Strömen, ich springe aus dem Bus, und freue mich über ein dichtes Blätterdach gegenüber, von dem aus ich halbwegs trocken Fotos machen kann – sie sollten ganz gut werden, trotz meiner inzwischen so schlechten Wetter und meiner daraus resultierenden miesen Laune. Noch mit demselben Trolleybus fahre ich zurück und gebe schnell den Plan auf, unterwegs auszusteigen und weitere Fotos zu machen.
So fahre ich zurück bis zum Bahnhof, verdrossen ob des starken Regens, und suche weiter nach halbwegs netten Fotoplätzen; eine Haltestelle zurück zum Schwanenplatz vielleicht? Dort befinden sich wenigstens dicht belaubte Bäume, ja, hier ist's ganz nett! Ein paar Aufnahmen vom See, von einem gerade ablegenden Dampfer, und endlich kommt mir auch einer der berühmten Luzerner Trolleybusse mit Niederfluranhänger vor die Kamera. Der passierende Wagenpark ist bunt gemischt; Solotrolleybusse auf den Linien 4, 5 und 7; Gelenktrolleybusse auf den Linien 2, 6 und 8 und Anhängerzüge auf den Linien 1, 6 und 8. Schwer ist's, hier zu fotographieren, viele Leute überall, aber wenigstens eine Herausforderung in dieser tristen Stimmung. Und der Schwanenplatz macht seinem Namen alle Ehre – viele Schwäne gibt's hier, offenbar Lieblinge der Touristen, und amüsiert bin ich vom wortlosen Dialog, den ein Golden Retriever mit einem der Schwäne führt… Ich laufe über die Straße, steige in den nächsten Trolleybus zurück zum Bahnhof ein, weg von hier, vielleicht ist's weiter im Norden schöner.
Der weitere Weg Richtung Zürich sollte nun von einer möglichst bunten Abfolge von Bahnstrecken geprägt sein, und mit einer ganz besonders interessanten Hauptbahn geht es los: Mit der Seetalbahn, deren derzeitige Situation auf einer eigenen Website sehr gut beschrieben ist. Ich hoffte im Vorfeld, schon mit einem der neuen GTW 2/8 auf dieser Strecke fahren zu können – leider war ich ein paar Wochen zu früh d'ran. Wie auch immer, der NPZ steht bereits im Bahnhof; ich gehe ganz vor, zum Triebwagen, möchte wieder den sonoren Klang einer NPZ-Garnitur miterleben; ohne Kompressor, der die Fahrt in den Triebwagen der durchaus vergleichbaren ÖBB-4020er oft so unangenehm laut werden lässt. Pünktlich um 14:03 fährt die Komposition als R 6056 ab; der Zug ist gar nicht so schlecht ausgelastet. Hinter dem nächsten Bahnhof, Emmenbrücke, reißt es mich: Rechts finden gerade Probefahrten mit 2 GTW 2/8-Garnituren statt! Zwei Digitalfotos eher magerer Qualität gehen sich aus, immerhin… Sehr gut sehen die neuen Gelenktriebwagen aus, besser als die Vorgängerversionen, hell, freundlich, aber wieder ist die Lackierung von weiß dominiert, der Bahn-Unfarbe.
Die Strecke wird langsam einsamer, wir fahren durch eine weiche Landschaft, und spätestens bei Ballwil bekommt das Trassee Elemente einer Überland-Straßenbahn – dies passt zu den Plänen, die Seetalbahn auch entsprechend zu betreiben, auch wenn danach natürlich die «Kompatibilität» mit dem Restnetz der SBB in so manchem Aspekt verloren sein wird… Bei Hochdorf, bis wohin ein ½-Stunden-Takt ab dem nächsten Fahrplanwechsel vorgesehen ist, warten wir eine Kreuzung ab; hier steigen die meisten Fahrgäste aus, aber auch viele neue ein. Und bald nach Hochdorf bin ich dann dort, wofür die Seetalbahn bekannt ist: In Form einer klassischen Interurban fahren wir straßenbegleitend durch die Landschaft, Dorf nach Dorf erschließend, mitten durch Hinterhöfe, idyllisch, malerisch, und darüber hinaus direkt zu den potentiellen Fahrgästen. In Gelfingen ist das Bahnhofsgebäude in ein Wohnhaus integriert, außerdem bietet die Ortsdurchfahrt perfekte Hinterhofidylle… Das ist schön! Schon bietet sich ein feiner Ausblick auf den Baldegger See, und bald erreichen wir Beinwil am See, meinen Aussteigebahnhof, nachdem ich noch ein paar Innenaufnahmen vom inzwischen fast leeren Triebwagen machte.
Die Komposition hat kurzen Aufenthalt in Beinwil; Zeit für ein paar Aufnahmen, bevor sie über das Trassee direkt an der Straße in Richtung Lenzburg verschwindet. Inzwischen ist das Postauto angekommen, das mich in Richtung Reinach bringen wird; hier entlang führte früher einmal eine SBB-Strecke, die sich weiter nach Beromünster erstreckte. Als Zweigstrecke zur offenbar ohnehin schon nicht sonderlich stark ausgelasteten Seetalbahn ist sie seit 1992 im Personenverkehr stillgelegt; seit 1997 liegt sie endgültig brach. Ich warte noch auf den Gegenzug von Lenzburg her, der ein paar Minuten später eintrifft, bevor ich in den Bus einsteige, der abfährt, nachdem eine erkleckliche Anzahl von Fahrgästen aus dem Zug umgestiegen ist. Gut gefüllt ist der Bus, sehr gut sogar; ich frage mich, ob eine so fein ausgelastete Buslinie, die im Stundentakt verkehrt, nicht doch auch eine Bahnverbindung rechtfertigt… Wie auch immer, wir fahren die Bahnstrecke entlang, und schon vielleicht 2 km später ist Reinach erreicht, wo ich an der Station Reinach SBB aussteige, direkt neben dem Bahnhof Reinach Lindenplatz der WSB.
Am Lindenplatz komme ich aus dem Staunen nicht heraus; mitten in einer Fahrbahn der bloß zweispurigen Kantonsstraße liegt das in beiden Richtungen befahrene Gleis der Wynental- und Suhrentalbahn (WSB). Obwohl ich vom straßenbündigen Verlauf der WSB in diesem Bereich wusste, überrascht mich etwas dermaßen Straßenbahnartiges doch sehr; ich frage mich noch, wie der Betrieb gegen die Fahrtrichtung des Autoverkehrs funktionieren soll, als schon pünktlich eine Garnitur von Menziken kommend eintrifft, und zwar eine der neuen Niederflur-Kompositionen: Zeit für die eine oder andere Aufnahme, Zeit auch, um wieder einmal über die allgegenwärtigen Anschlüsse in der Schweiz zu staunen: Man kommt ohne Kursbuch von fast überall nach fast überall; einfach einsteigen, mitfahren, umsteigen, mitfahren. Nicht lange danach kommt die Gegengarnitur aus Aarau, eine älteren Datums – und in diese Richtung fährt sie voll gegen den Autoverkehr, in der linken Fahrspur: Ich bin sehr beeindruckt, wie reibungslos das abläuft; die entgegenkommenden Automobilisten ziehen einfach in die linke Spur; irgendwie geht sich alles ohne Probleme aus. Ich mache ein, zwei Aufnahmen, und lasse die Komposition in Gedanken des Staunens versunken die eine Haltestelle zur Endstation Menziken-Burg entschwinden.
Nun bleiben mir 20 Minuten für den Fußweg zu dieser Endstation, bevor die Garnitur wieder nach Aarau zurückfährt; ich folge der straßenbündigen Strecke, die weiter in einer Fahrspur verläuft und diese auf halbem Wege sogar wechselt. Erst knapp vor Menziken-Burg ist der WSB eine eigene Spur (innerhalb der Fahrbahn) beschieden, bevor sie signalgedeckt in die Endstation einfahren kann, die quer zur Straße liegt, mit Lokschuppen und allerlei sonstigen Hochbauten, die allesamt schon, nun ja, etwas morbiden Charme vergangener Epochen tragen. Es wird das letzte Mal gewesen sein, dass ich mir diese Strecke ansah, denn die WSB wird auf dem Stück durch Reinach und Menziken den straßenbündigen Verlauf verlieren und auf das stillgelegte SBB-Trassee verlegt. Da dieses doch sehr nahe an der Kantonsstraße liegt, ist das wohl keine signifikante Verschlechterung für die Fahrgäste; im Gegenzug wird die WSB froh sein, den bei meinem Besuch zwar problemlos befahrenen, aber zweifellos heiklen Straßenabschnitt in Reinach und Menziken los zu sein. Und nicht zuletzt wird so das ehemalige SBB-Trassee einer sinnvollen Weiterverwendung zugeführt. Schade nur, dass keine Verlängerung nach Beromünster angedacht ist; ich denke, mit dem derzeitigen Fahrplan müsste es sich leicht ausgehen, mit derselben Anzahl von Kursen dorthin weiter zu fahren.
Die Endstation bietet zahlreiche nette Fotomotive, abgestellte Kompositionen, eine alte Lok, hübsche Gleisformationen, und den schon erwähnten morbiden Charme uralter Hochbauten. Ich steige in die Komposition ein, die bei näherer Betrachtung äußerlich doch schon etwas heruntergekommen ist… Aber das ist sehr relativ zu sehen, bieten doch die meisten Schweizer Bahnen eine schon fast modellbahnartige Gepflegtheit ihres Wagenparks! Etwas irritiert bin ich von der Beschriftung der Garnitur mit einer stark schattierten, serifenbetonten, nicht sehr passenden Schrift, die sich letzten Endes als repräsentativ herausstellen sollte: Die Gesamtheit der optischen WSB-Präsenz, sei es durch Wagenpark und Stationsanlagen, sei es durch die Website ist geprägt von Elementen, die stark vom Flair der 1970er-Jahre angehaucht sind; das Knallorange mag das markanteste Beispiel sein, aber auch die unterwegs zu findenden orangen Plastikcontainerwartehäuschen sprechen Bände. Zumindest außergewöhnlich ist das für die Schweiz…
Die Zeit vergeht, der junge Fahrer verlässt das uralte Expedit; zu meinem großen Erstaunen und Missfallen betritt er mit brennender Zigarette den Fahrerstand. Muss das denn sein? Wie auch immer, pünktlich fahren wir als Kurs 154 ab, und zum ersten und wohl auch letzten Mal erlebe ich die straßenbündige Durchfahrt durch Menziken und Reinach. Spannend, wirklich spannend; die Tafeln an der Strecke signalisieren 40 km/h Höchstgeschwindigkeit, und es scheint mir, als ob wir diese auch zumindest stellenweise erreichen. Das ist für eine Bahn, die voll gegen den Autoverkehr fährt, nicht wenig… Nach der Durchfahrt Reinachs verlassen wir die Kantonsstraße, und auf selbständigem Gleiskörper geht es nun durch das Wynental weiter in Richtung Aarau. Die Strecke ist voll signalgedeckt, aber auch Linienleiterkabel fallen mir auf: Offenbar moderne Zugsicherung bei einer Bahn, die einen äußerlich eher behäbigen Eindruck macht. Ganz und gar nicht behäbig ist die Fahrweise der Komposition; sehr sehr flott und zügig geht es dahin! Ich genieße die Fahrt bei inzwischen vollem Sonnenschein, genieße auch die zumindest eingeschränkte Streckensicht, die man bei dieser Garnitur geboten bekommt. Zahlreiche Doppelspurinseln einer an sich einspurigen Strecke bieten große Flexibilität; erstaunt bin ich von der offenbar wilden Mischung zwischen Rechts- und Linksverkehr auf den doppelspurigen Abschnitten.
Laute und klar verständliche Haltestellenansagen begleiten uns, hochdeutsch gesprochen, allerdings in einem fast Angst machenden Befehlston – ein Sprecher mit Berliner Bezug? ;-) Dazu befindet sich im Wagendach einer der für die Schweiz so typischen übersichtlichen, schematischen Streckenpläne, ein Aspekt, der mich stets erfreut! Die Hinterhofcharakteristik der Strecke beginnt sich wieder zu ändern: Bei Suhr begleiten wir wieder die Straße, wenn auch neben und nicht in der Fahrbahn. Ich freue mich schon auf die Gleiskreuzung mit der SBB, und gleich haben wir sie erreicht: Vor allem die Fahrleitungskreuzung ist spannend, wie immer, wenn zwei unterschiedliche Stromsysteme einander berühren. Nach einer scharfen Rechtskurve ist Suhr Ausweiche erreicht, Umsteigebahnhof zur SBB-Linie durch Suhr, und danach geht es an der Straße entlang einspurig weiter die letzte Haltestelle nach Aarau. Eine letzte Doppelspurinsel, und diese hat es in sich: Zum ersten Mal erlebe ich einen offenbar planmäßigen Dienstaufenthalt fern jeder Haltestelle, der nur einer Zugskreuzung dient. Nach kurzem Aufenthalt passiert uns der Gegenzug, und nun geht es durch Aarau zum dortigen Bahnhof – das letzte Stückchen wieder quer über und auf Straßen; und im Gegensatz zu Reinach und Menziken wird der Abschnitt hier wohl auf Dauer erhalten bleiben. Sehr beeindruckend!
Ein paar Aufnahmen gehen sich in Aarau aus, am sehr frequentierten WSB-Bahnhof, wo zahlreiche Kompositionen stehen, und versonnen schlendere ich über die Anlagen vor dem SBB-Bahnhof. Darüber vergesse ich völlig, wie die Zeit vergeht; ein Blick auf die Uhr lässt mich ziemlich erschrecken: Es ist 16:25, und zu dieser Minute soll schon mein Zug Richtung Lenzburg abfahren, der IR 529. Ich hetze durch die Unterführung, sprinte die Treppe hinauf, und gerade noch schaffe ich es, in die offenstehende Tür zu springen, bevor der Zug abfährt. Ein voller Zug ist es, knallvoll, mit schon einigen stehenden Fahrgästen. Ich fahre nur eine Station mit, bleibe gleich in der Tür stehen, und lasse den Blick durch den Zug schweifen: Ein Neigezug der SBB, und einer, der nicht nur so tut, als ob er sich neigen könnte, sondern das auch wirklich macht! Meine Erfahrungen mit den DB-612ern etwa 5 Jahre vorher waren andere… Doch schon nach 6 Minuten Fahrzeit ist Lenzburg erreicht, wo ich in den bereitstehenden REG 5557 einsteige; auch dieser ist gut gefüllt, aber ich finde noch leicht einen Sitzplatz. Der Anschluss ist ein schlanker, nur 4 Minuten, dann geht es weiter Richtung Wohlen, wo wir nach 10 Minuten Fahrzeit eintreffen; Wohlen, Ausgangspunkt der Bremgarten-Dietikon-Bahn (BD), die mich weiter Richtung Zürich bringen wird.
5 Minuten habe ich Übergangszeit, und schon steht die Garnitur bereit: Eine der neuen, ganz ähnlich derer, wie sie auch auf der vorher befahrenen WSB zu finden sind. Schnell eine Aufnahme auf dem Bahnhofsvorplatz, wo sich typischerweise die Station der BD befindet, und dann steige ich ein in die Niederflurkomposition. Gut gefüllt ist sie schon, ich möchte zunächst stehenbleiben; ein Mädl bietet mir einen Sitzplatz an, ein hübsches Mädl; nett, wie sie mit mir anbandeln möchte; bloß am Verstehen scheitert es ein wenig: Wieder hat mein Verständnis schweizerdeutscher Dialekte ein bisschen einen Kratzer erlitten. Wie auch immer, ich genieße die Fahrt, wir plaudern ein bisschen, fahren gemeinsam bis Bremgarten. Ich sehe skeptisch aus dem Fenster; dunkle, sehr dunkle Wolken im Norden, das verheißt nichts Gutes. Flott geht die Fahrt auf dem kombinierten Meter- und Normalspurgleis über die mitten im Wald gelegene Haltestelle Erdmannlistein, die in voller Fahrt passiert wird: Wieder einmal Bedarfshaltestellen par excellence. Hier fährt die BD auf SBB-Trassee, daher auch die dreischienige Ausführung des Korridors. Bald ist Bremgarten erreicht, mit drei Haltestellen, bevor wir im eigentlichen Bahnhof Bremgarten eintreffen, Zentrale der BD. Ich steige aus, fotographiere noch die eben verlassene Garnitur, bevor der Himmel alle Schleusen zu öffnen beginnt. Wolkenbruchartig prasselt der Regen auf das Dach des Bahnhofs. Gelegenheit, einmal durchzuatmen, die frische Luft zu genießen, einen Blick in die BD-Zentrale zu werfen.
Etwas Ungewöhnliches passiert kurz danach: Eine Durchsage, dass der kommende Zug aus Dietikon, ein HVZ-Verstärker nur bis Bremgarten, etwa 10 Minuten verspätet sei und sich dadurch auch dessen Rückfahrt ein paar Minuten verzögern würde. In diesem Fall denke ich mir, nicht schlecht, erlebe ich einmal den bei vielen Bahnen der Schweiz selten nötigen Fall von Störungsmanagement – auf einer im Viertelstundentakt betriebenen, eingleisigen Strecke etwas wohl nicht Leichtes. Wie auch immer, der Regen wird ein wenig schwächer, die Wolken lassen ein bisschen mehr Licht durch – da kommt auch schon die verspätete Komposition aus Dietikon; einer der Gelenkwagen aus den späten 60er-Jahren. Wunderbar, so komme ich wieder zu unterschiedlichem Wagenpark, mit dem ich fahren kann; ich steige ein, wundere mich innen über die stark asymmetrische Einteilung und staune über das in der Schweiz immer noch stark verbreitete Gepäckabteil. Ich nehme Platz; die Garnitur ist nicht sehr stark besetzt: So gehen sich ungestört ein paar Innenaufnahmen aus. Und ich freue mich schon sehr auf den Abschnitt, der auf den Landkarten so beeindruckend aussieht: In Serpentinen auf den Mutschellen. Und Serpentinen sind es in der Tat: Wir begleiten die Straße den Berg hinauf, mitsamt der durchaus sehr engen Kurven. Wie beeindruckend… Inzwischen hört es zu regnen auf, und bei der (im Kursbuch nicht explizit aufgeführten) Haltestelle Belveder (sic!) steige ich aus – die letzte Haltestelle, bevor die Anhöhe des Mutschellen erreicht ist.
Das Umfeld der Haltestelle erlaubt mir zunächst einen Blick auf die hier so verbreiteten, stationären Haltanforderungen sowie der dazugehörigen Signale, zwei weiße Lampen nebeneinander in einem auf der Spitze stehenden Quadrat. Der nächste Zug aus Dietikon kommt daher; die Garnitur, mit der ich reiste, muss viel Verspätung aufgeholt haben, denn die heranbrausende Garnitur ist schon fast wieder pünktlich; nicht schlecht für eine einspurige Strecke. Wie auch immer, dunkel, fast zu dunkel ist es für Aufnahmen, dennoch wage ich es, die Digitalkamera für Bilder unter wieder stärker fallenden, großen, schweren Regentropfen heraus zu holen – und eine der wohl schwierigsten Aufnahmen der ganzen Reise gelingt zumindest passabel: Die einer die Serpentinen hinunter gleitenden Gelenkwagen. Nicht lange danach kommt schon der nächste Zug Richtung Dietikon, mit dem ich weiter fahre; da ich (noch aus Luzern!) eine Stunde hinter meinem eigentlichen Plan hinten nach bin, gebe ich den Plan auf, in Berikon-Widen in das Postauto umzusteigen, um nach Zürich-Goldbrunnenplatz zu fahren, sondern bleibe in der aus zwei 60er-Jahre-Gelenkwagen bestehenden Komposition bis Dietikon sitzen. Und Geschoße sind diese Wagen in der Tat; die Fahrt geht in sehr, sehr flotter Weise Richtung Dietikon, einem erstaunlich großen Ort, den wir die Straße entlang durchqueren, bevor die Strecke am Vorplatz des dortigen Bahnhofes endet.
Und da passiert mir etwas unheimlich Peinliches: Ich wundere mich schon, dass da irgend etwas mit der Topographie nicht stimmen kann, aber die S12-Garnitur, von der ich völlig überzeugt war, dass sie mich nach Zürich brächte, hat als ersten Halt nach Dietikon Killwangen-Spreitenbach. Hmmm, das sagt mir nichts, aber als wir in Wettingen eintreffen, bin ich mir sicher: Falsche Richtung. Übermüdung? Unkonzentriertheit? Einfach nur Dummheit? Naja, 's ist ja nichts passiert, 10 Minuten etwa bis zur nächsten S-Bahn zurück nach Zürich, Zeit für ein paar Aufnahmen unter inzwischen aufgelockertem Himmel. Ich atme tief durch, und genieße die Fahrt mit der S-Bahn auf glänzend ausgebauter Strecke, die, wie Bautafeln verkünden, in Zukunft noch höheren Standards genügen soll. Die S-Bahn-Doppelstock-Komposition fährt ruhig mit hohem Tempo, und die Haltestellenansage hat etwas Zürich-untypisch Gemütliches, Beruhigendes. Ich konzentriere mich, rufe mir den Zürcher Liniennetzplan ins Gedächtnis: Wie komme ich wohl am direktesten ins Trammuseum; es ist inzwischen schon ½7 Uhr vorbei, und ich möchte nicht lang nach 19:00 dort eintreffen. Hardbrücke kommt mir in den Sinn, von dort Fußmarsch zum Escher-Wyss-Platz. Und das setze ich auch um: An der Hardbrücke steige ich aus, keiner der schönsten Bahnhöfe, die ich bisher erlebte, aber gut genug, um wieder endlich wieder meine Frau anrufen zu können; alles ok in der Heimat. Und dann der Weg aus dem Bahnhof hinaus: Was für eine potthässliche Szenerie, eine Autobahnstelzenbrücke, die das gesamte Quartier z'sammhaut. Diese entlang marschiere ich flotten Schrittes; es ist weiter zum Escher-Wyss-Platz, als ich befürchtete, obwohl eigentlich als Umsteigemöglichkeit ausgeschildert. Ich suche noch nach einer Einkaufsmöglichkeit vor 19 Uhr: Schmex, nichts zu finden.
Hinter dem Escher-Wyss-Platz, geprägt von der Autobahnbrücke, stehen wie bei meinem letzten Besuch vor über 10 Jahren Tramgarnituren vor dem dortigen Depot abgestellt: Nettes, industrielles Fotomotiv; dazu ermöglicht der nun aufgerissene Himmel auch schöne Aufnahmen Richtung Stadt unter gelber Abendsonne. Mit dem nächsten 13er fahre ich Richtung Frankental, eine mir neue Strecke, und bald nach dem stark von industriellem Umfeld geprägten Viertel rund um den Escher-Wyss-Platz erreichen wir schnell eine sehr schöne, vorstädtische, offenbar sehr gesunde Gegend. Wie fein, nach dem anstrengenden Tag. Fast schon als selbstverständlich empfinde ich die unauffällige, aber durch so zahlreiche Details umgesetzte, absolute Trambevorrangung; die natürlich eingeschlossene Ampelsteuerung ist da nur ein Puzzlestein. Am Meierhofplatz erreichen wir die bei meinem letzten Besuch noch nicht elektrifizierte, nunmehrige Trolleybuslinie 46, bevor es richtig malerisch in die Wartau hinuntergeht – mit der Haltestelle unmittelbar vor dem Eingang zum Trammuseum Zürich.
Inzwischen ist die Sonne schön heraußen, lässt weich und doch fast noch gleißend die Szenerie in gelbes Licht tauchen, das ich gleich ausnütze, um den abfahrenden 13er zu fotographieren. Und dann hinein ins Trammuseum; schön gelegen, nette Halle, leider alles etwas gedrängt – als Wiener ist es fast unfair, andere Trammuseen mit sicherlich signifikant weniger Finanzmitteln beurteilen zu wollen. Und mit der Übersiedelung nach Burgwies wird es sicher geräumiger. Das Personal ist nett, ich stöbere hauptsächlich in den Büchern – der Hauptgrund für meinen Besuch. Drei Bücher möchte ich mir kaufen, zwei gestehe ich mir zu, und wie glücklich meine Wahl ist, stellt sich erst viel später heraus: Das dritte wäre nämlich eines über die Bremgarten-Dietikon-Bahn gewesen, aus dem Leutwiler-Verlag – und genau über diese Bahn hat der Prellbockverlag dieser Wochen ein neues Buch produziert! Beide sind fein produziert, exzellenter Text, und im Rahmen der zum Produktionstermin vorhandenen Technik wenigstens passabel gesetzt. Ich werfe einen Blick auf die Museumszüge: Schöne Stücke, liebevollst gepflegt – mir persönlich geht aber etwas aus der jüngeren Vergangenheit ab, aus der Zeit, mit der ich persönlich etwas anfangen kann; Wagen aus den 40er-Jahren und danach. Keine Kritik am Museum: Das, was vorhanden ist, ist ganz wunderbar, auch und gerade im Detail!
Ich blicke auf die Uhr; die nicht weit fortgeschrittene Zeit macht es mir möglich, schon etwa eine Stunde früher als geplant Richtung Jestetten abzureisen, wo ich übernachten werde. Der nächste 13er kommt bald aus Frankental, wieder eine Komposition aus zwei Mirages; wieder steige ich in den ersten Wagen ein, möchte Blicke auf die Strecke werfen. Nach all dem Programm des langen Tages genieße ich nun entspannt die Fahrt zurück zum Hauptbahnhof. Ich steige nicht schon beim Sihlquai aus, von dem man auch in den Hauptbahnhof kommt, sondern fahre weiter zum Bahnhofsquai, steige hinab in die Shopville, dem Einkaufszentrum in und unter dem riesigen Zürcher Hauptbahnhof. Wie modern wirkt dieser Bahnhof, sauber, ein Ort, wo man gerne hinkommt; viele Geschäfte haben bis 20:00 geöffnet, so auch eine Migros-Filiale, die mir jetzt sehr willkommen ist, habe ich doch heute noch kaum etwas gegessen, vor allem aber viel zu wenig getrunken. Ich decke mich mit Eistee ein, dazu ein kleiner Laib Brotes und ein Zwiebelaufstrich: Genau das richtige nach so einem Tag! Punkt 8 Uhr verlasse ich das Geschäft, 13 Minuten vor Abfahrt des Schnellzuges D 2588 nach Schaffhausen, der mich zunächst nach Bülach bringen wird; sehr gut gefüllt ist der kurze Schnellzug schon, erstaunlich für diesen kurzen Zuglauf und diese späte Stunde. Die Fahrt nach Oerlikon ist geprägt von einem sehr sehr hohen Viadukt, den ich vorher unten mit dem Tram passierte; viel Graffiti begleitet die Strecke; ich würde sagen, der höchste Verschandelungsgrad der gesamten Reise ist hier zu finden.
Langsam wird es dünkler; bald ist schon Bülach erreicht, wo ein NPZ als S22 7282 schon am Nebengleis bereit steht: Kürzeste Umsteigewege, das ist fein, und schon 5 Minuten später geht es weiter in Richtung Schaffhausen. Ich blicke aus dem Zug, suche die Grenze zu orten, und bald ist sie erreicht: Wir befinden uns nun in Deutschland, auf einer Korridorstrecke, die komplett von den SBB betrieben wird. Jestetten ist erreicht: Ich steige aus; die Hauptstraße, an der mein Hotel liegt, ist leicht zu finden. Jestetten dürfte ob der aus der Schweiz leichten Erreichbarkeit ein Zentrum für allerlei Dienstleistungen zu sein, die in Deutschland viel günstiger sein dürften: Erstaunt bin ich ob der vielen roten Lichter Jestettens – ob auch hier ein Dienstleistungstourismus dieser Art zu finden ist? :-) Allzu viele Gedanken mach' ich mir darüber nimmer; hungrig und müde treffe ich im netten ein. Kleines Getränk am Zimmer, kleine Dusche, kleine Satellitenfernsehpause ('s läuft gerade das Wiener Derby im ORF, und die Austria bekommt gerade den dermaßen ärgerlichen Ausgleich, dass ich gleich wieder abdrehe), und dann: Schlaaaaafen!