Hallo,
heute geht es mir einmal um alte Stockbusse, oder ? wie man bei uns sagt ?
Doppeldecker.
Im Buch über die Wiener Stockbusse von Robert Schwihlik und Dr. Peter Lösch
lesen wir, dass anno 1958 ein deutscher Büssing-Doppeldecker (Berliner D2U?)
zur Internationalen Automobilausstellung auf der Wiener Frühjahrsmesse zu
Gast war. Dieses Fahrzeug wurde auch von den Wiener Verkehrsbetrieben
erprobt und für tauglich befunden. Gräf & Stift erwarb von Büssing die
Lizenz zum Bau solcher Fahrzeuge.
Da die Vorschriften in Wien eine maximale Achslast von 8 Tonnen vorgaben,
konnte der Lizenzbau nicht realisiert werden, der Bus musste auf Dreiachser
umkonstruiert werden.
Nach einem Prototypen von 1960 (W 74.800 ? Wagen 8200) begann die
Serienlieferung. Letztendlich waren diese Ungetüme 11,53m lang, 2,5m breit
und 4,16m (!!) hoch. Die erste Bauserie wurde ab Dezember 1960, die letzte
Bauserie von 1966 ? 1968 geliefert. Die Fahrzeuge erhielten die Kennzeichen
W 74.801 ? W 74.868 und die Wagennummern 8261 ? 8268.
Der Bus bot unten 30 und oben 36 Sitzplätze auf Durofolsitzen und 39
Stehplätze. Der Schaffner saß rechts vor der Tür 3 über den Achsen. Über
ihm, direkt neben Tür 2 war die Treppe für den Aufstieg zum Oberdeck. Oben
waren Viererbänke mit Seitengang links, wie beim Berliner D2U. Da die Treppe
rechts angeordnet war, war im Oberdeck über den Achsen und der hinteren
Plattform auch rechts ein Seitengang mit Umlauf am Heck zum linken
Seitengang. Zwischen den beiden Seitengängen waren vier Doppelsitzbänke
mittig ohne Fensterplätze. Ganz hinten gab es hinter dem Umlaufgang eine
viersitzige Rückbank. Alle Plätze im Oberdeck ? bis auf die zweite Reihe von
vorn ? waren in Fahrtrichtung angeordnet. Diese zweite Reihe blickte nach
hinten. Zwischen der ersten und zweiten Reihe befand sich der Schacht für
die brutal enge und steile Abstiegstreppe, die neben dem Fahrer mündete. Der
Ausstieg von oben war über diese Treppe und Tür 1 vorgesehen, der Ausstieg
aus dem Unterdeck über Tür 2 und der Einstieg für alle über Tür 3. Vom
Fahrgastraum unten war Tür 1 nicht zu erreichen. Die ersten Serien hatten
den Büssing U10-Motor, der allerdings für diese Busse etwas zu schwach
dimensioniert war. Erst der U11-Motor der letzten Serie brachte die nötige
Leistung. Eine Spezialität dieser Busse waren die Sichtfenster in den
senkrechten Blechen der hinteren Treppe, durch die der Schaffner die Tür 2
(und J sicherlich auch manche schönen Beine J ) im Blick hatte.
Vergleicht man den Wiener Stockbus der 60er mit dem Berliner D2U, so drängt
sich stark die Vermutung auf, dass der Testbus von 1958 ein (Berliner?) D2U
war. Die Gestaltung der Seitenwandfenster, die Viererbänke im Oberdeck mit
Seitengang links und der U10-Motor und nicht zuletzt die Typenbezeichnung
DD-2FU deuten stark darauf hin. Andere Stockbus-Typen hatte Büssing damals
(noch) nicht im Programm. Erst im Jahr 1959 stellte Büssing mit dem DS60
einen neuartigen Stockbus vor. Dieser hatte allerdings den kleineren
U7-Motor und IIRC auch einen Mittelgang im Oberdeck. Ein Bild dieses neueren
Typs gibt es hier:
http://www.omnibusarchiv.de/cgi-bin/baseportal.pl?htx=/Busse/Busse_Jahr
<http://www.omnibusarchiv.de/cgi-bin/baseportal.pl?htx=/Busse/Busse_Jahr…
alparams=1&db=Busse&cmd=list&range=182,14&Bustyp~=B&cmd=all&Id=501>
&localparams=1&db=Busse&cmd=list&range=182,14&Bustyp~=B&cmd=all&Id=501
Weiß jemand, um welchen Berliner D2U es sich beim Wiener Testbus handelte?
Das Kennzeichen dürfte auf B-Z und eine dreistellige Zahl gelautet haben. Am
wahrscheinlichsten ist ein Bus der Serie 1253 ? 1360, B-V 253 bis B-V 360.
Wir sehen auf den angehängten Bildern:
# den D2U 1629 von 1965 am 31.05.2009 am S-Bahnhof Wannsee in Berlin
# den echten DD-2FU 8229, den Traditionsbus der Wiener Linien, am 02.10.2010
im Museum Erdberg. Die EZ des Busses war 27.06.1961, seine VIN ist 56530,
abgemeldet wurde er am 22.05.1978. Der Bus ist betriebsfähig und zugelassen.
Er gehört zur zweiten Bauserie.
# den verkleinerten DD-U11 H/1 8250 aus der letzten Bauserie, der in der
Werkstatt von Alexander Olajos entstand, am 21.12.2011 am Fotoplatz auf dem
CD-Regal in meinem Wohnzimmer.
Ein ?Bruder? des 8250, der 8247, wartet im Österreichischen Omnibusmuseum
auf seine Aufarbeitung.
Gruß aus Berlin
Lambert
NB: Anmerkung: Die Benutzung des Oberdecks der Wiener Stockbusse der
8200er-Reihe muss wohl einiges an Geschicklichkeit erfordert haben. Ich
stelle mir das ? sehnsuchtsvoll-träumerisch - in etwa so vor:
Nach dem Einsteigen ?klingelt? der Schaffner den Bus ?ab?. Der Bus fährt
los, die Türen schließen sich (ja, das war die Reihenfolge). Ich stolpere
durch den Schwung des anfahrenden Busses erstmal über die Stufe hinter der
Hinterachse. Bis ich mich mit dem Fahrgast, den ich dabei fast umgerissen
habe, versöhnt habe, steht der Bus an der Ampel. Ich erklimme die Treppe zum
Oberdeck. Als ich auf der dritten Stufe stehe, fährt der Bus los ? nach
links um die Kurve. Da ich fit bin, kann ich es gerade noch verhindern, die
?Treppe rauf zu fallen? und mir an den Stufenkanten die Schienbeine blutig
zu schlagen, stoße aber mit dem Kopf durch die Fliehkraft leicht an die
Seitenwand. Oben geht es erstmal nach hinten, dann nach vorn auf einen
freien Platz. Nun nähert sich der Bus meiner Haltestelle. Ich gehe nach
vorn, rechts die Treppe runter und muss mich tüchtig festhalten, um durch
die Bremskraft nicht dem Fahrer vor die Füße zu fallen. Dann heißt es
schnell raus, denn schon hat der Schaffner wieder abgeklingelt, der Bus
fährt weiter. Ich drehe mich um und sehe gerade noch, wie der Bus um die
nächste Ecke biegt. In meinem Kopf streiten zwei Stimmen. Die erste sagt:
?Booaah, geiles Gerät!?, die zweite Stimme sagt: ?Du Vollidiot! Nächstes Mal
steigst Du über die hintere Treppe ab und gehst in der Mitte raus, da ist es
breiter und weniger gefährlich.?
Ich weiß genau: Wenn sie mich doch einmal ins Wien des Jahres 1968 beamen
sollten, werde ich über die vordere Treppe absteigen. Wenn ich draußen bin,
werde ich einmal kurz fluchen und dann zur zweiten Stimme sagen: ?Lächeln
macht alles ANDERS!?